Alle Strategie- und Militärspiele bewegen sich auf einer Größenskala zwischen Ego- und Vogelperspektive. My.Games stellt stattdessen die Frage: warum nicht beides?
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Einmal Militärstrategie mit alles, bitte
Alexander der Große, Julius Cäsar, Napoleon Bonaparte – Geschichte, insbesondere Militärgeschichte, wird traditionell gerne als Chronik großer Männer gelesen, die große Entscheidungen trafen, um große Schlachten zu schlagen. Die Wahrheit sieht natürlich ein bisschen anders aus. Mal abgesehen davon, dass es überraschenderweise auch früher schon Frauen gab, hängen Kriegsführung und der Verlauf der Geschichte nicht nur von wenigen Entscheidungen einzelner Protagonisten ab. Erstens gibt es Faktoren, die sich jedes menschlichen Einflusses entziehen, sehr wohl aber über Sieg oder Niederlage entscheiden. Das Wetter kann die Versorgung einer Armee unmöglich machen und Krankheiten einem Heer mehr Verluste beifügen als jede feindliche Streitmacht. Aber darüber hinaus ist vor allem die Summe der Leistung aller Beteiligten letztlich entscheidend für den Ausgang jeder Schlacht. Genau hier setzt das ambitionierte Conqueror’s Blade der Entwickler und Entwicklerinnen von Booming Technology an.
Eine völlig neue Perspektive zwischen Feldherrn und Soldaten
Spiele haben diesen Umstand bisher nämlich nur bedingt aufgegriffen. Als Herrscher makromanaget ihr in klassischen Strategiespielen wie den rundenbasierten Civilizations oder den in Echtzeit gehaltenen Age of Empires ganze Heerscharen. In Hack’n’Slashs wie Dynasty Warriors oder Shootern wie Battlefield nehmt ihr dagegen die Rolle des Soldaten an vorderster Front ein und seid grundsätzlich nur für euer eigenes Handeln verantwortlich. In Conqueror’s Blade seid ihr dagegen Teil des wenig beachteten Mittelmanagements. Ihr befehligt immer nur eine Einheit aus ein paar Dutzend Soldaten und gleichzeitig eure Spielfigur, die ihr in Zweikämpfe führt. Zusammen mit den Einheiten anderer Spieler bildet ihr eine Armee, die in einem Match, das je nach Typ unterschiedliche Bedingungen für einen Sieg vorgibt, gegen eine andere Spielerarmee antritt. Hatten wir schon erwähnt, dass Conqueror’s Blade noch dazu ein MMO ist?
Damit das in der Praxis funktioniert, bedient sich Conqueror’s Blade typischer Gameplay- und Steuerungselemente der vielen Genres, die es zu vereinen versucht – und zwar erstaunlich erfolgreich. Ihr lenkt mit WASD aus der Third-Person-Perspektive euren Helden und kämpft mithilfe der Maus. Einen Schlag mit eurer Waffe führt ihr durch einen Linksklick aus, ihr blockt gegnerische Attacken durch die rechte Maustaste. Dazu kommen Spezialangriffe, die wie in MOBAS jeweils einer Taste zugeordnet am unteren Bildschirmrand aufgelistet sind und nach Benutzung einen Cool-down erfordern. Eure Soldaten befehligt ihr durch einfache Kommandos, die ebenfalls auf je eine Taste gelegt sind: folgen, verteidigen oder angreifen. Außerdem könnt ihr sie je nach Einheitentyp in unterschiedlichen Formationen aufreihen, im Falle von Speerträgern zum Beispiel in einem Kreis um euch herum.
Der Preis der Kurzweiligkeit
Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit ist der Wechsel zwischen dem Befehligen eurer Truppe und dem geschickten Zweikampf mit eurem Helden ziemlich intuitiv. Es ist eine Frage des Timings, wann ihr euch auf welchen Aspekt konzentriert. Wenn ihr das erst einmal heraushabt, macht der fliegende Wechsel ordentlich Laune und vermittelt wirklich das Gefühl, zu einem Bund eingeschworener Mitstreiter zu gehören. Es schmerzt wesentlich mehr, "eure" Männer zu verlieren als einen Haufen tausender anonymer Männchen, wie in anderen Strategiespielen.
Die Abwechslung hat allerdings ihren Preis. Conqueror’s Blade erkauft sich diese nahtlose Verbindung unterschiedlicher Spielelemente mit Abstrichen im Tiefgang. Maus und Tastatur haben eben nur eine begrenzte Zahl an Tasten (und Tastenkombinationen), die man einem Spieler zumuten kann. Insbesondere die Strategiekomponente hat darunter zu leiden. Komplexere Manöver und mehrteilige Schlachtpläne lassen sich mit drei Befehlen nicht austüfteln. Die Matches sind nicht der einzige Bereich, in dem man Conqueror’s Blade diesen mitunter schmerzhaften Spagat zwischen Tiefgang und Breite merkt.
Warum es bei einem Genre belassen, wenn es so viele gibt?
Das Game ist auch abseits des Kampfgeschehens zum Bersten gefüllt mit Features und Spielelementen aus allen möglichen Genres und Subgenres, angefangen mit eurer Spielfigur. Nach euren Vorstellungen und in bester Rollenspiel-Manier erstellt ihr einen Kriegsherrn, dessen Aussehen und Fähigkeiten ihr im Laufe des Spiels stetig verändern beziehungsweise erweitern könnt. Über einen Skill-Tree könnt ihr seine Spezialangriffe nach Level-Aufstiegen und Spielerfolgen erweitern. Welche Spezialangriffe euch zur Verfügung stehen, hängt davon ab, welche Waffe ihr nutzt. Insgesamt zehn stehen zur Auswahl, zum Beispiel Speer, Schwert und Schild oder sogar eine Muskete. Außerdem gibt es noch waffenunabhängige Attribute wie Stärke und Geschicklichkeit, die ihr mit durch Spielerfolge gewonnene Punkten ebenfalls nach Gutdünken aufstockt. Sogar eure angeheuerten Soldaten lassen sich im Laufe des Spiels verbessern. Das HUD in Conqueror’s Blade strotzt nur so vor Icons, hinter denen Tabellen und Bäume, Listen und Sortimente, Statistiken und Bilanzen warten, dass euch schwindelig wird.
Euer Charakter ist zudem nicht nur der Truppenführer in den zahlreichen Matches. Wie in einem Dungeon Crawler oder einem klassischen MMORPG wie World of Warcraft streift ihr mit ihm durch eine riesige Oberwelt. Dort reist ihr von Stadt zu Stadt, mit möglichen Zwischenstopps in kleineren Gebäuden, zum Beispiel Holzfällerlagern, die Rohstoffe abwerfen. Denn Ressourcenmanagement ist – natürlich – auch noch ein Ding in Conqueror’s Blade. Eure kleine Armee aus den verschiedenen Einheiten habt ihr dabei immer im Schlepptau, damit ihr euch unterwegs hin und wieder in PVE-Scharmützeln mit kleinen Rebellenverbänden keilen könnt, die in neutralen Gebieten lauern. Stellt euch das Ganze in etwas so vor wie eine spielbare Echtzeitvariante der Map aus den Total War Games. Aber Moment, neutrale Gebiete?
Jep. Die Karte von Conqueror’s Blade ist nämlich in vier große Gebiete aufgeteilt, deren Ländereien wiederum von Häusern kontrolliert werden. Ihr dürft euch entweder einem der bereits vorhandenen Häuser anschließen oder selbst ein Bündnis gründen. Habt ihr genug Bannermänner in den eigenen Reihen, könnt ihr zusammen losziehen, Regionen belagern und euch sukzessive ein Imperium aufbauen.
Ein Look wie ein kosmopolitischer Mischmasch aus Ost und West
Nicht einmal vor ganzen Kulturen macht der Remix-Trieb in Conqueror’s Blade halt. Die Entwickler konzentrieren sich bezüglich des Settings weder auf eine bestimmte Epoche aus der Historie einer einzelnen Zivilisation, noch konstruieren sie irgendeine Fantasy-Welt zwischen Mittelerde und Azeroth. Stattdessen werden Orient und Okzident so enthusiastisch vereint wie ein hippes Restaurant im Szeneviertel der nächsten Großstadt. Serviert wird Fusion-Food aus dem mittelalterlichen Europa und dem alten China, irgendwo zwischen Ritterrüstungen und Samurai-Schwertern, mit einer Prise osmanischem Plunder zum Abrunden. Klingt nicht nur exotisch, schmeckt auch ganz gut. Wir fühlen uns ein wenig zurückversetzt in diverse Pausenhofdiskussionen in der dritten Klasse: Wer ist stärker, Samurai und ihre Katanas oder ritterliche Sire mit Lanze, Langschwert und Schild?
Ohne das grafische Potenzial komplett ausreizen zu können, können wir zudem sagen, dass Conqueror’s Blade optisch einiges hermacht. Ein Augenschmaus ist es nun auch wieder nicht, allein wegen der doch etwas zu braun-grau geratenen Palette, die vor allem die Umgebung einfärbt. Aber die Charaktermodelle sind eindeutig mit Liebe zum Detail entworfen und bieten dem einen oder anderen belesenen Geschichtsnerd die Gelegenheit, genüsslich die nicht einmal zwingend vorhandene Brille zurechtzurücken und mit den Worten "also die Janitscharen waren" in einen halbstündigen Exkurs über osmanische Militärgeschichte abzudriften. Das eher eintönige Landschaftsbild passt in diesem Sinne auch besser zu der auf Realismus getrimmten, ernsten Atmosphäre als eine quietschbunte Comic-Grafik.
Fazit
Allen voran: Hut ab an My.Games und die Entwicklerinnen und Entwickler von Booming Technology. Es ist selten, dass sich größere Studios mit gut budgetierten Projekten an ein völlig neues Konzept wagen. Die Idee, Strategie- und Action-Gameplay im logischen Kontext des Offiziers an vorderster Front zu verbinden, sorgt für willkommenen frischen Wind in einer Ecke des Gamings, die sich in der Regel höchstens traut, mit Settings zu experimentieren. Da kann man es verzeihen, dass Conqueror’s Blade an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießt. Im Laufe der nächsten Monate sollte sich herausstellen, welche Features die Spieler besonders an dem Game schätzen. Die anderen dürfen zugunsten der Stromlinienförmigkeit gerne hinten abfallen, damit sich Booming auf den Schliff der immer noch mehr als zahlreichen Kernelemente konzentrieren kann. Wir würden ja bei den unnötigen Rollenspielelementen anfangen.
- Unverbrauchtes Setting
- Interessante Mischung aus Strategiespiel und Action-Game
- Spannender Perspektivwechsel
- Für jeden was dabei
- Überladene Menüs und Statistik-Features
- Etwas eintönige Farbpalette